Bindegewebe / Faszien / Sehnen / Bänder...

 

Es gibt vielfältiges Bindegewebe im menschlichen Körper. Bisher hat man es meist nur als stützendes und formgebendes Material oder auch einfach als „Füllgewebe“ ohne größere Funktion betrachtet. Das scheint sich in der Forschung und Medizin momentan zu ändern. Das Bindegewebe (auch Sehnen und Bänder gehören dazu) scheint eine viel aktivere Rolle zu spielen und z.B. auch bei Schmerzen eine große, bisher nicht beachtete Rolle zu spielen.

 

Interessanterweise arbeiten die asiatischen Bewegungssysteme (Taijiquan, Qigong, Yiquan, Intendons, Yoga…) und auch viele alternative Therapien (z.B. Akupunktur, Osteopathie, Craniosacrale Therapie oder Bindegewebsmassagen wie Rolfing) schon seit längerem mit dem Bindegewebe.

 

Hier ein paar Links zu dem Thema:

 

  1. Quarks & Co. vom 29.01.2013 – „Geheimnisvolle Faszien“

  2. W wie Wissen vom 14.10.2012 – „Die Plage mit dem Rücken“
  3. Buchempfehlung: "Sensationen in den Sehnen... mit Intendons" von Harald Xander

 

Für mich werden durch diese neueren Erkenntnisse über die Faszien/das Bindegewebe auch einige Sachen klarer. Das Bindegewebe durchzieht netzartig den ganzen Körper, vermutlich sogar durch alle Organe durch, und verbindet so den ganzen Körper miteinander. Alles ist „eins“, alles ist mit allem verbunden – über das Bindegewebe. Und das Bindegewebe ist nicht nur passiv, wie ich lange gedacht habe, sondern auch aktiv an Bewegungen usw. beteiligt.

Einige Ideen und Merksätze bekommen dadurch für mich eine ganz handfeste, physiologische Grundlage und sind nicht länger „unerklärlich“ oder „nur durch Qi zu erklären“. Um nur zwei herauszunehmen:

  1. „Keine (Muskel-)Kraft, aber die Idee ist da.“

    Ja, wie soll das gehen? Wir haben doch nur Muskeln! – Tja, dachte ich jedenfalls lange… Jetzt wird klar: Nein, wir haben eben nicht nur Muskeln! Wir haben auch noch Bindegewebe! Und das können wir sogar aktiv benutzen! Und die Erklärung dazu ist auch nicht ganz neu: ganz einfach gesagt, je weniger bewusste „grobe“ Anspannung wir benutzen, umso tiefere Schichten des Körpers werden aktiviert bzw. wir bekommen Zugriff darauf. Vereinfachend so dargestellt:

    - Entspannte Bewegungen = entspannte oberflächliche große Muskeln (Mobilisatoren/Bewegungsmuskulatur), aber arbeitende kleine Tiefenmuskeln (Stabilisatoren/Haltemuskeln) + Aktivität im Bindegewebe

    - zu viel Anspannung = angespannte oberflächliche große Muskeln, weniger Aktivität in der Tiefenmuskulatur und im Bindegewebe


    Mit „Idee“ ist natürlich die Vorstellung und das Gefühl/Spüren gemeint. Also sagt der Satz in etwa: keine unnötige Spannung (aber auch nicht schlaff!), damit mit Vorstellungsarbeit die Tiefenmuskulatur und das Bindegewebe benutzt werden statt „nur“ die großen Muskeln!


  2. „Die Kraft kommt aus den Sehnen.“

    Ähnliche Geschichte wie oben: die großen Muskeln wirken alle mehr oder weniger isoliert, wenn sie „isoliert“ angespannt werden. Benutzt man vor allem diese Muskeln, ist Bewegung also auch isoliert und der Körper kann nicht als Ganzes eingesetzt werden. Die Kraft bricht ab, sie durchzieht nicht den ganzen Körper sondern „bleibt am Ort der Anspannung stecken“. Erst der zusätzliche Einsatz des Bindegewebes und der Tiefenmuskulatur führt dazu, dass der Körper als Einheit bewegt und benutzt wird. Wie schaffen wir das? Ein wichtiger Punkt: nicht zu viel Kraft… es ist schon paradox: die Kraft reduzieren, um mehr Kraft zu bekommen!!! „Du hast so viel Kraft, dass Du gar keine Kraft hast!“ Ha! ;-) So wird es aber wahrscheinlich verständlich, oder?

 

Idealerweise stelle ich mir gerade ein Gleichgewicht vor, was es wiederherzustellen gilt:

  1. oberflächliche große Muskeln (diese neigen übrigens zu Verspannungen, weil sie nicht für Dauergebrauch ausgelegt sind)
  2. Tiefenmuskeln (können auch ganz stark zu Verspannungen neigen, weil sie oft zu schwach sind und dann überbelastet werden!)
  3. Bindegewebe/Faszien/Sehnen/Bänder...

sollten alle mit im Boot sein und miteinander arbeiten. Ganz häufig haben wir Dysbalancen – wir benutzen zu viel 1. und zu wenig 2. und 3. Ein Weg um das wieder auszugleichen wäre eben das Training von Taijiquan, Qigong, Yiquan, Yoga, Intendons...

 

Zum Schluss noch ein paar allgemeine Ideen (die einige von euch sicher schon von mir gehört haben), wie aus meiner Sicht in Bezug auf Taijiquan, Qigong, Yiquan usw. mehr Tiefenmuskulatur und auch das Bindegewebe in unseren Übungen angesprochen werden kann, insbesondere im Zhan Zhuang:

 

  • Körperhaltung ausrichten + bei Bewegung beibehalten --> in Bezug auf das Bindegewebe stelle ich mir das so vor: wie bei einem Trampolintuch das bindegewebige Netz im Körper aufspannen…

  • mit Vorstellung üben --> u.a. um kleine, feine Bewegungen hinzubekommen und zwar mehr im Nervensystem und der Überleitung zum Muskel ohne zu grob/„körperlich“ zu werden

  • kleine Bewegungen --> um große Muskeln herunterzufahren und die Feinkoordination zu erhöhen

  • entspannt bewegen --> ebenfalls: um die großen Muskeln möglichst herauszuhalten und Zugriff auf tiefere Schichten zu bekommen

  • langsam bewegen --> um die Feinkoordination und bewusste Steuerung zu erhalten

  • fließend bewegen (statt „abgehackt“) --> auch wieder, um möglichst ganzheitlich-feinkoordiniert viele Körperbereiche (Tiefenmuskulatur, Bindegewebe…) an der Bewegung zu beteiligen

  • Ganzkörperbewegungen oder zumindest mehr als nur einzelne „Muskeln“ --> um Kraft zu generieren wird z.B. im Yiquan praktisch immer der gesamte Körper, vom Fuß bis Kopf, vom Rücken bis zur Hand als Einheit bewegt

 

Anmerkung zu dieser Liste: Natürlich - wenn es zum Beispiel in Richtung Kampfkunst geht - müssen wir auch lernen, uns wieder schnell zu bewegen, evtl. große Bewegungen zu machen usw.! Das heißt in gewissem Sinne ist auch das Gegenteil von allem oben aufgelisteten ab einem bestimmten Punkt des Trainings ebenso zu beachten und zu trainieren! (Yin und Yang!)