Qi (Chi) - Energie / Lebensenergie?!
Das Wort "Qi" - oder in der alten Wade-Giles-Umschrift "Chi" - wird oft als "Energie" oder auch "Lebensenergie" übersetzt. Tatsächlich ist der Begriff Qi sogar vielschichtiger - und kontextabhängig. Im Folgenden wollen wir das, ausgehend von der reinen Begriffsklärung über verschiedene Bedeutungsmöglichkeiten und "Anwendung" in verschiedenen Kontexten, von mehreren Seiten aus genauer beleuchten.
Anmerkung: Auch wenn dieser Text unter "Qi Gong" einsortiert ist - "Qi" spielt auch im Tai Ji Quan und indirekt auch im Yi Quan eine Rolle. Insofern ist alles was hier zu "Qi" ausgeführt ist, ebenso für Tai Ji Quan und Yi Quan gedacht. - Und deshalb wird der Begriff "Qi" hier jetzt auch umfassender betrachtet als es "nur für Qi Gong" vielleicht notwendig wäre.
1 Das Wichtigste in Kürze
- es gibt etliche verschiedene Interpretationen von „Qi“ / was Qi "ist" oder "sein soll" - und je nach Kontext kann er auch etwas anderes bedeuten
- deswegen macht es insgesamt vielleicht sogar sehr viel Sinn, den Begriff Qi am Ende unübersetzt zu lassen (natürlich gucke wir uns die möglichen Bedeutungen trotzdem genauer an)
- egal wie man es selbst sieht – man muss in jedem Fall nicht an Qi glauben (wenn man Qi Gong, Tai Ji Quan, Yi Quan… übt)
- denn viele der Effekte/Wirkungen, die mit „Qi“ in Verbindung gebracht werden, werden selbst dann hervorgerufen, wenn man nicht an Qi glaubt (viel wichtiger wäre da Üben...)
- und wie wir sehen werden, kann man folgende zwei Standpunkte (gut begründet) einnehmen:
- Qi ist ganz wichtig und zentral
- Qi ist überhaupt nicht so wichtig und wir müssen uns gar nicht unbedingt damit (so genau) beschäftigen
(für die entsprechenden Begründungen muss man dann aber doch den weiteren Text lesen...)
2 Wichtige Vorbemerkungen
- ich habe mich bewusst entschieden, diesen Beitrag möglichst neutral und ohne eigene Positionierung zu verfassen, denn:
- „Qi“ ist ein umstrittenes Thema – u.a. auf der einen Seite ein jahrtausendealtes chinesisches Konzept auf der anderen Seite naturwissenschaftlich nicht bewiesen
- dazu kommt – und damit möchte ich mich hier hauptsächlich beschäftigen – dass es gar nicht so klar ist, was mit Qi (jeweils) genau gemeint ist, da es nämlich verschiedene Bedeutungen gibt – und auch chinesische Meister den Begriff nicht einheitlich verwenden
- ich möchte die verschiedene Ideen / Interpretationen von „Qi“ darlegen, also wie man Qi „sehen kann“ – und am Ende soll bitte jeder selbst entscheiden, wie er/sie es sehen möchte
- und dabei möchte ich einerseits die Leute, die absolut überzeugt von „Qi“ sind bitten, möglichst offen zu sein dafür, dass es noch andere (vielleicht nützliche) Möglichkeiten gibt, Qi zu verstehen – und andererseits möchte ich die Leser, die mit Qi zunächst einmal absolut gar nichts anfangen können bitten, offen dafür zu sein, dass es selbst dann ein paar interessante Ideen geben könnte, die den Begriff Qi womöglich doch als nützlich erscheinen lassen könnten (diese Interpretationen von Qi könnte man vielleicht als „pragmatische Definitionen“ bezeichnen)
- außerdem – egal wie man es nun am Ende sieht – man muss nicht an Qi glauben
- das sage nicht nur ich, sondern auch etliche andere Lehrer und Meister
- und es gibt verschiedene Gründe, warum man an Qi nicht mal glauben muss, wenn man Qi Gong, Tai Ji Quan und/oder Yi Quan übt
- manches werde ich in den folgenden Punkten noch mal aufgreifen – hier nur zwei Gründe:
- folgt z.B. aus chinesischer Sicht das Qi (für unsere Übungen betrachtet) sowieso der Bewegung, der Körperhaltung, der Atmung, der Vorstellungskraft (Yi) – und man soll sich oft nicht mal „auf Qi konzentrieren“ → es ist sogar ein Mythos bzw. eine häufige Fehlannahme dass man das müsste) → aus dieser Sicht ist Qi sowieso immer mit dabei, selbst wenn man nicht dran glaubt
- Qi ist in gewissem Sinne auch einfach „nur ein Wort“ – es geht eh viel mehr um die dahinterliegenden Phänomene (wir besprechen das noch) – und wenn diese eintreten… dann treten sie halt ein… und dann ist es auch vollkommen egal, ob man diese Phänomene nun Qi nennt oder nicht (oder beispielsweise stattdessen "Gurkensalat" nennt) – bestenfalls sollte das an den „eingetretenen Phänomenen“ rein gar nichts ändern, ob man sie nun so oder so nennt (besprechen wir auch noch etwas genauer und tiefergehender)
3 Qi ist auch ein „Etikett“ – bitte nicht aneinander vorbei argumentieren...
Qi ist auch erst mal einfach nur ein Wort – ein Begriff – für bestimmte Phänomene. In der Linguistik wird auch beschrieben, dass man die Wörter („Etiketten“) nicht mit den Phänomenen selber verwechseln darf. Insofern würde ich ein weiteres Mal dazu aufrufen, nicht so viel „über die Wörter zu streiten“ – sondern wenn dann lieber über die Phänomene, die mit dem Wort gemeint sein sollen.
Man muss immer darauf achten, wie definiert jemand etwas und aus welcher Richtung kommt eine Aussage – und man muss auch immer versuchen zu verstehen, was jemand mit einer Aussage tatsächlich sagen will. – Und alle Aussagen, die "richtig" sind, sind oft allerdings nur für einen Teilbereich zutreffend. Oft entstehen dann ja Kämpfe wer doch Recht hätte - klassicherweise mit absoluten Aussagen wie "das ist falsch" - "Nein, gar nicht" usw. Um das zu vermeiden, ist es eben wichtig, sich klar zu werden, worüber man gerade gemeinsam redet.
Und insgesamt gesehen: dass die Begriffe unterschiedlich interpretiert werden lässt sich nicht mehr zurückdrehen. Es werden sich nicht mehr alle Leute auf dieser Welt (die damit zu tun haben) einigen und es gleich definieren. Dafür ist es "zu spät" bzw. es wäre wahrscheinlich auch unter Idealbedingungen nie längerfrist möglich (gewesen), weil Menschen einfach immer Sachen unterschiedlich erleben, beschreiben, bezeichnen, verstehen, einordnen, ausdrücken, usw.
Wenn wir die konkreten Interpretationen von Qi besprechen werden... dann sollte man u.a. immer die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass ein möglicher Gesprächspartner mit dem man sich darüber austauschen sollte, gerade ein ganz anderes Verständnis von Qi im Kopf haben könnte.
4 Das chinesische Schriftzeichen für Qi
气 (氣)
- offizielle PinYin-Umschrift: Qì
- ältere Umschrift (Wade-Giles): Chi (teilweise mit Apostroph geschrieben)
- kantonesische Umschrift: Hei / Hey
- (Bedeutungen und Übersetzungen folgen im weiteren Verlauf)
4.1 Zusammensetzung (Komponenten) des Schriftzeichens für Qi:
Das Schriftzeichen für Qi (genauer gesagt das alte, traditionelle Langzeichen) setzt sich aus zwei Komponenten zusammen:
1. 气 Qì (kant. Hei) = Dampf, Dunst
2. 米 Mǐ (kant. Mai) = ungekochter Reis
Hier ein bisschen anschaulicher dargestellt:
4.2 Altes Zeichen für Qi
炁 = (ebenfalls!) Qì = "kein Feuer" - setzt sich zusammen aus:
- 旡 Jì = (an etwas Gegessenem) ersticken
- 灬 Biāo/Huǒ = Feuer (genauer: dies ist das sog. Radikal des Schriftzeichens für 火 Huǒ – Feuer)
→ „kein Feuer“ hat eine ganz ähnliche Bedeutung wie "der mittlere Weg" (Bild dazu: vergleichbar mit Autofahren... fährt man zu langsam oder zu schnell, verbraucht das Auto mehr Sprit – und so soll "kein Feuer" auch für den Menschen gedacht sein... eine Art "optimale Betriebsbedingung", weder zu viel, noch zu wenig)
5 Unterschiedliche Interpretationen von / Sichtweisen auf "Qi"
5.1 Was sagt uns das Wörterbuch über "Qi"?
- Wörterbuch-Definitionen bzw. Übersetzungen von "气 Qi" (teilweise nur in Kombination mit anderen Schriftzeichen):
- Gas
- Luft
- Atem
- Geruch, Duft
- Wetter
- Gebaren, Verhalten
- Moral
- ärgerlich werden, wütend sein, verärgert sein
- jdn. verärgern, jdn. wütend machen, jdn. ärgern
- jdn. schickanieren, beleidigen
- im Kontext der chinesischen Medizin: "Energie" / "Lebensenergie"
- ...
- d.h. die oft genommene Standard-Übersetzung "Energie" ist nur eine von vielen möglichen Bedeutungen von 气 Qi !
- und wie so oft bei Übersetzungen von Begriffen: die vielen Bedeutungen von 气 Qi hängen auch ganz stark vom Kontext ab, in dem der Begriff 气 Qi jeweils konkret benutzt wird (bitte diesen Gedanken auch für alles weitere immer im Hinterkopf behalten, selbst wenn ich nicht mehr gesondert darauf hinweise - in gewissem Sinne haben die verschiedenen Interpretationen von Qi, die wir noch besprechen werden, alle auch damit zu tun, dass ein unterschiedlicher Kontext dem Begriff Qi eine unterschiedliche Bedeutung geben kann)
- (An dieser Stelle möchte ich auch auf die Hinweise zur chinesischen Sprache verweisen, wo die Problematik von (Wörterbuch-)Übersetzungen und ein paar grundlegende Infos zur chinesischen Sprache besprochen werden, die das ganze Thema hier - "Qi" und seine Bedeutungen und Übersetzungsmöglichkeiten - insgesamt auch noch mal verständlicher machen dürften.)
气 Qi kommt auch in vielen zusammengesetzten Wörtern/Ausdrücken vor in der chinesischen Sprache - hier ein paar Beispiele:
- 气球 QiQiu – Ballon; wörtlich wohl "Luft-Kugel"
- 球 Qiú – Ball, Kugel
- 球 Qiú – Ball, Kugel
- 气温 QiWen – Luft-/atmosphärische Temperatur
- 温 (溫) Wēn – Temperatur, ...
- 温 (溫) Wēn – Temperatur, ...
- 气候 QiHou – Klima; figurativ: Situation
- 候 Hòu – Warten; Zeit; Jahreszeit; Zustand; meteorologische Situation
- 候 Hòu – Warten; Zeit; Jahreszeit; Zustand; meteorologische Situation
- 汽车 QiChe – Auto; wörtl. "Dampf-Fahrzeug"
- 汽 Qì – Dampf
- 汽 = 氵 + 气 (die linke Komponente ist das Radikal vom Schriftzeichen für Wasser (水 Shuǐ)ì
- 车 (車) Chē – Fahrzeug, ...
- 汽 Qì – Dampf
An all diesen Übersetzungen und Ausdrücken und kann man gut sehen, dass 气 Qi in China auch einfach ein Alltagsbegriff ist - und so gesehen auch "nichts besonderes" - und tief in die chinesische Kultur integriert. D.h. wir können schon mal festhalten, 气 Qi immer nur als "Energie" zu sehen und zu übersetzen, wird tatsächlich der Vielschichtigkeit des Begriffes nicht gerecht - und wie weiter oben schon geschrieben, ist 气 Qi als "(Lebens-)Energie" insbesondere im Kontext der chinesischen Medizin (und Dingen, die sich darauf beziehen können) zu sehen. Insofern beschäftigen wir uns im nächsten Punkt damit genauer:
5.2 "Qi" und die traditionelle chinesische Medizin (TCM)
- zunächst mal: hier wird Qi sehr stark als eine Art "Substanz" gesehen (und die chin. Sichtweise an der Stelle sieht relativ vieles als eine Art Substanz - z.B. auch die drei Schätze Jing, Qi und Shen werden als Substanzen betrachtet - wobei Qi ja sogar auch schon einer dieser "drei Schätze" ist) - und diese Substanz "Qi", soll lt. chinesischer Sicht u.a. durch den Körper strömen (in den sog. Energieleitbahnen / Meridianen) usw.
- laut der chinesischen Medizin gibt es jedoch auch viele verschiedene Arten von Qi:
- Organ-Qi (Leber-Qi, Milz-Qi, Lungen-Qi, ...)
- Leitbahnen-Qi (das Qi, das in den Energieleitbahnen zirkuliert) (Anm.: auch das Blut (血 Xuè) transportiert Qi)
- auf den "Energie"-Leitbahnen gibt es besondere (Energie-)Punkte/Bereiche, die sogenannten Akupunktur-Punkte → hier setzt Akupunktur oder Akupressur an, wenn es an diesen Punkten aus chinesischer Sicht Blockaden, Ungleichgewichte u.ä. geben sollte
- Nahrungs-Qi (die Energie, wir aus der Nahrung aufnehmen)
- Atmungs-Qi (die Energie aus der Luft / von Sauerstoff, die/den wir aufnehmen)
- Abwehr-Qi (mehr an der Körperoberfläche gelegen)
- "wahres Qi" (wird aus anderem Qi gespeist), ursprüngliches Qi (so ein bisschen vergleichbar mit "Erbanlagen"), ...
- ...
- Qi wandelt sich lt. der chinesischen Medizin auch um, z.B. eben das Qi aus der Nahrung und Luft wandelt sich in Qi in unserem Körper um... das Qi im Körper speist wiederum alle anderen Körperfunktionen, psychische Prozesse (s.u.), kann unser nachgeburtliches Jing ("Nieren-Essenz") auffüllen - dieses Jing ist wieder einer der drei Schätze (s.o.) - usw.
- ...
- geht ein bisschen über die chinesische Medizin hinaus: auch Pflanzen, Bäume, Tiere, das Universum... alles "hat" in der chinesischen Sicht (auch) eine Art von "Qi"
- ...
- laut der chinesischen Medizin gibt es jedoch auch viele verschiedene Arten von Qi:
- aus Sicht der chinesischen Medizin kann man auch sagen, dass das Qi in gewissem Sinne immer fließt - vielleicht nicht ideal verteilt, vielleicht mit Blockaden usw. - aber unser Qi fließt nur dann gar nicht mehr, wenn wir tot sind
- das spielt für Tai Ji Quan usw. insofern eine Rolle, weil es oft eine Diskussion gibt, ob eine Bewegung nun "mit Qi" oder "ohne Qi" ausgeführt wurde - und mit der Brille der chinesischen Medizin betrachtet, kann es immer nur mit Qi sein - denn sonst wären wir eben tot...
- allerdings gibt es auch die Idee, dass das Qi frei fließen soll - für Qi Gong, aber auch wieder für Tai Ji Quan usw.
- im Qi Gong gibt es dann z.B. neben allgemeinen Qi Gong-Übungen, die auch den Fluß des Qi verbessern sollen, auch in medizinischen Qi Gong-Richtungen z.B. spezielles Meridian-Qigong - und auch die Akupunkturpunkte können eine Bedeutung haben je nach Qi Gong
- für Kampfkunst-Aspekte macht es am meisten Sinn "das Qi soll frei fließen" als Metapher aufzufassen für: man ist einigermaßen entspannt, die Körperhaltung ist gut ausgerichtet, die Bewegung folgt Prinzipien usw. → und so gesehen ist "das Qi soll frei fließen" in gewissem Sinne eine wesentliche Grundvoraussetzung und überhaupt nicht falsch, aber das ist nicht das, was die „Kraft“ wirklich ausmacht/erzeugt (wenn wir jetzt an "Kampfkunst" denken...) - dafür müssten man sich an der Stelle mit ganz anderen Dingen beschäftigen, z.B. Biomechanik
- insg. könnte man unsere gesamte „physiologische Aktivität“, Vitalität, eben wortwörtlich unsere "Lebensenergie" / „Gesundheit“ auch zumindest als Wirkung oder Resultat von Qi beschreiben (nebenbei, für das Training von Tai Ji Quan, Yi Quan ist u.a. eine Idee, warum wir auch "unser Qi trainieren wollen", wenn wir Qi als Sinnbild für Vitalität und Gesundheit auffassen, dass wir auch mehr trainieren könne wenn wir gesund sind und bleiben - und bei Kampfkünsten könnte man dann mehr "Kampfkunst" üben, wenn man gesünder ist - das ist ein Aspekt, wieso Qi Gong in viele chinesische Kampfkünste integriert wurde)
- ergänzend sollte man hier noch mal (extra) erwähnen, dass die chinesische Medizin auch psychische Prozesse (Yi = Vorstellung, Zhi = Wille, Shen = Geist u.a.) als "von Qi" gespeist betrachtet, d.h. diese haben auch mit Qi zu tun (in dieser Sichtweise)
5.3 "Qi" als Empfindung
- eine weitere Möglichkeit, Qi aufzufassen besteht darin, es als "Empfindung" zu definieren
- dabei gibt es auch eher wieder eine breite Palette von Möglichkeiten, welche Arten von Empfindungen gemeint sein können (und was demnach auch als Qi oder zumindest auch als ein Teil-Aspekt von Qi aufgefasst werden könnte):
- allgemein einfach sämtliche Empfindungen / Körperempfindungen usw.
- eine Art Wohlgefühl ("feeling of well-being")
- Wärme (Blut, Entspannung…), Kribbeln, „Fülle/Schwere“ aber auch „Leichtigkeit“ u.ä. werden auch oft als "Qi" bezeichnet
- Empfindung kann hier auch ein bisschen in Richtung Emotionen/Gefühle gehen - auch diese sind ja "Empfindungen" (und Gefühle spielen sich auch "im Körper" ab)
- eine Art „Empfindungswelle“ im Körper mit der man sich bewegt / auf der man bzw. der Körper „surft“ (für Bewegung)
- bestimmte Qualitäten als (Qi-)"Empfindungen" → beispielsweise bestimmte Qualitäten, die wir hervorrufen wollen im Üben bzw. als Ziel haben - oder vielleicht besser gesagt: die auch eine Art Feedback sind, dass man die Übung gerade richtig ausführt
- beispielsweise könnten entsprechende "Qualitäten" sein: eine Art "magnetische Gefühl" zwischen den Händen (oder anderen Körperbereichen), Gefühl von Wasser um einen herum, Federn zwischen den Fingerspitzen u.ä. ... etwas traditionell-chinesischer und mit der Sprache von "Qi" könnte man solche Qualitäten dann zum Beispiel auch bezeichnen als: hebendes Qi, sinkendes Qi, nach vorne strebendes Qi, spiraliges Qi usw.
- eigentlich gar keine weitere Art von Empfindung die auch Qi genannt werden könnte, sondern eher eine Art, das auch noch mal anders zu erklären: da unser Nervensystem und Bewegungssystem (Muskeln, Faszien, ...) usw. miteinander verbunden sind, miteinander interagieren, gibt es auch einige Meinungen, die sagen, dass einfach sämtliche Empfindungen, die bewusst-willentlich (z.B. durch Vorstellungsbilder - Yi) oder auch unbewusst und unwillkürlich in uns hervorgerufen werden, auch als "Qi" / "Qi-Sensation bezeichnet werden können
- ...
- aus "pragmatischer Sicht" macht Qi (mindestens auch) als Empfindung zu verstehen sehr viel Sinn für’s Üben – und zwar egal ob für Qi Gong, Yi Quan oder Tai Ji Quan
- allerdings sollte man sich hier generall nicht bzw. auf jeden Fall nicht zu sehr auf das Qi konzentrieren (!) – und kein „sensation seeking“ beim Training betreiben → bester Tipp: an den beim Üben auftretenden Empfindungen erfreuen, sie nehmen wie sie sind, kommen und gehen lassen wie Wolken am Himmel – und nicht zu sehr auf die Empfindungen konzentrieren (und auf der anderen Seite auch nicht ablehnen oder ignorieren)
- denn: die Empfindungen werden ja durch anderes hervorgerufen – z.B. durch Bewegung, Entspannung, Durchblutung bzw. mentale Vorstellungsbilder (Yi) die dann wiederum Entspannung und dadurch auch Durchblutung usw. befördern können – und sich z.B. auf das Yi zu konzentrieren (eine der Ursachen für "Qi-Empfindungen") ist viel wichtiger, als sich auf die Empfindungen selber zu konzentrieren (die ja "nur" die Wirkung sind)
- auf der anderen Seite sind die Empfindungen (/ „Qi“ wenn man so will) schon ein "Marker" bzw. Feedback-System, ob das mit dem Yi und auch dem sonstigen Training funktioniert → aber jeder „empfindet“ auch anders... anders intensiv - oder weniger intensiv → und die Empfindung ist auch nicht jeden Tag gleich, sondern es gibt "bessere Tage und schlechtere Tage" → das sind alles Gründe, warum man sich nicht zu sehr auf die hervorgerufenen Empfindungen ("Qi") konzentrieren sollte
- als Zwischenfazit zum Thema "Qi definiert als Empfindungen" könnte man auch noch mal darauf hinweisen, dass (Körper-)Empfindungen auch eine wichtige Mittlerrolle und Signalfunktion für uns haben → Empfindungen vermitteln sozusagen auch zwischen Körper und Geist (weitere wichtige Funktion von Empfindungen) und Empfindungen oder auch Gefühle (die sich ja auch im Körper abspielen), sind eine Sprache, oder wie Dr. Yang Jwing-Ming sagt: "feeling is a language"
- Ein letzter Gedanke, der hier noch gut reinpasst: aus meiner Zeit im Yang-Familien-Tai Ji Quan nach Yeung Ma-Lee ist mir die Frage „Which Qi do you Gong?“ hängen geblieben (Kontext war: Qi Gong im Yang-Familien Tai Ji Quan). In (lockerer) Übersetzung: "Welches Qi möchtest du Gong-en?" → das nimmt einerseits Bezug darauf, dass es in der chinesischen Sicht verschiedene Arten von Qi gibt (siehe wieder Punkt 5.2). Man kann das aber hier auch zusätzlich so verstehen - wenn wir Qi gerade als "Empfindung(en)" definieren - dass man in manchem Qi Gong (s.u.) bestimmte "Empfindungen", im Sinne von "Qualitäten", trainiert. Beispielsweise gab es dort ein (engl.) „magnetic qi gong“, welches dann eine Art "magnetisches Gefühl/Qualität" trainiert (und das klingt jetzt seltsamer als es tatsächlich gemeint ist - einfachste Übungsanweisung: einfach mal die Handflächen eine gewisse Zeit zueinander halten und so tun als ob die Hände zwei Pole eines Magneten wären. Wenn man sich darauf einlassen kann das auszuprobieren, fühlt es sich nach kurzer Zeit "wie magnetisch" an.)
5.4 "Qi" und moderne Physik?! (nur ein Vergleich!)
Bitte nicht falsch verstehen, ich möchte hier keinen Zusammenhang herstellen, den es nicht gibt. Wie schon gesagt ist naturwissenschaftlich Qi nicht nachgewiesen. Ich möchte hier nur darauf hinweisen, dass – soweit ich es mitbekommen habe (ich bin kein Physiker) – in der modernen Physik angenommen wird, dass Materie und Energie nicht zwei komplett verschiedene Dinge sind. Und Materie auch immer „Energie“ enthält oder ist. Ganz unesoterisch sieht man das ja z.B. daran, dass Atomkerne (also „Materie“) auf die eine oder andere Art für Energiegewinnung genutzt werden können. (Anm.: ich möchte diesen Punkt bitte vollkommen unpolitisch verstanden wissen – mir geht es hier einzig und allein um das entsprechende Argument für unser Thema – und man muss auch hier wieder aufpassen, dass da „energetisch“ nicht zu viel hineingelegt und hineingedeutet wird... allerdings kann man, wenn man es so oder so ähnlich sieht, Qi auch als eine "allumfassende Energie" betrachten, die einfach in allem enthalten ist - und auch wenn die Physik natürlich den Begriff Qi nie benutzen würde, ist das doch ein bisschen ähnlich (!) oder vergleichbar (!), denn auch laut der Physik ist letztlich alle Materie "Energie" - allerdings natürlich "Energie" in einer physikalischen Definition der Physik entsprechend)
(Anmerkung: ich denke zwar, ich habe es deutlich genug geschrieben, aber trotzdem zur Sicherheit noch mal deutlich ausgedrückt: ich möchte in keinster Weise andeuten oder implizieren, dass "die Physik" oder "Physiker" an Qi glauben oder das Konzept von "Qi" akzeptieren würden - ich möchte nur sagen, dass man Ähnlichkeiten zwischen beiden Sichtweisen sehen kann - der Physiker könnte vermutlich sagen "alles ist (auch) Energie", während die traditionell-chinesische Sicht wäre "alles ist (auch) Qi")
6 "Qi" in verschiedenen Zusammenhängen
6.1 "Qi" und Qi Gong
- Qi Gong ist ein sehr weites Feld (es gibt sehr viele Qi Gong-Arten), und um es hier einfach zu halten: auch wenn es verschiedene Qi Gong-Arten gibt, nehmen die meisten Qi Gong-Systeme in der einen oder anderen Weise Bezug auf die Sichtweise von Qi, wie sie auch in der chinesischen Medizin vorherrscht - insofern gilt für Qi Gong in Bezug auf Qi grundsätzlich erst mal das, was weiter oben in Punkt 5.2 "Qi" und die traditionelle chinesische Medizin (TCM) besprochen wurde
- insbesondere gilt dies natürlich für den Zweig des "Gesundheits-Qi Gong" - auch "Medizinisches Qi Gong" genannt
- und Qi Gong selber ist auch eine Säule der traditionellen chinesischen Medizin (TCM)
- ... aber vielleicht noch mal kurz weiter vorne angefangen - und ein ganz kleines bisschen "Qi Gong-Theorie":
- Qi Gong = "Arbeit mit dem Qi" und auch "Arbeit am Qi" (d.h. am Qi-System des Menschen)
- 气(氣) Qì – s.o.
- 功 Gōng – Leistung, Errungenschaft, Verdienst, gutes Ergebnis/Resultat; Erfolg; Arbeit; Fähigkeit; Fertigkeit
- hier in Bezug auf unser Thema "Qi" vielleicht ganz interessant: im Qi Gong wird von den sogenannte Fünf Regulierungen (五調 Wu Tiao) gesprochen:
- 五 Wǔ – fünf
- 调 (調) Tiáo – harmonisieren, abstimmen; überführen, bewegen, wechseln; "regulieren"
- 調身 Tiao Shen – Regulierung/Harmonisierung des Körpers
- 身 Shēn – Körper; Körper; Hauptteil einer Struktur (oft ist bezogen auf den Körper dann der Rumpf gemeint); Leben
- 身 Shēn – Körper; Körper; Hauptteil einer Struktur (oft ist bezogen auf den Körper dann der Rumpf gemeint); Leben
- 調心 / 調意 Tiao Xin / Tiao Yi – Regulierung/Harmonisierung von Herz/Verstand
- 心 Xīn – Herz, Gefühl; Geist; Absicht; Zentrum, Kern
- 意 Yì – Bedeutung, Idee, Gedanke, Wunsch, Begehren, Intention, Absicht, Erwartung, Vorstellung, ... (insgesamt steht Yì auch für "Denken", "Vorstellungskraft" und insgesamt den "Einsatz des Geistes")
- zusammen steht 心意 XinYi auch für die emotionalen und rationalen Anteile des "Geistes"
- 調息 Tiao Xi – Regulierung/Harmonisierung der Atmung
- 息 Xī – ruhen, pausieren; stoppen, aufhören, beenden; Atem; Neuigkeiten
- 息 Xī – ruhen, pausieren; stoppen, aufhören, beenden; Atem; Neuigkeiten
- 調氣 Tiao Qi – Regulierung/Harmonisierung der "Energie"
- 气(氣) Qì – s.o.
- 气(氣) Qì – s.o.
- 調神 Tiao Shen – Regulierung/Harmonisierung des Geistes
- 神 Shén – Geist, Seele, Gott, Göttlichkeit, Ausdruck; heilig
- 神 Shén – Geist, Seele, Gott, Göttlichkeit, Ausdruck; heilig
- 調身 Tiao Shen – Regulierung/Harmonisierung des Körpers
- → Qi wird also (meistens/hauptsächlich) nicht durch Qi selber bewegt → Qi wird durch Regulierung des Körpers (Bewegung, Körperhaltung, ...), des emotionalen und intellektuellen "Geistes" (Xin und Yi), der Atmung und des "großen Geistes" (神 Shen) reguliert)
- oder ein bisschen einfacher ausgedrückt: meistens wird durch Bewegung, Atmung, Vorstellungskraft (Yi) usw. das Qi beeinflusst – und wie weiter oben schon besprochen könnte man noch mal daran erinnern: dabei ist auch egal, ob man an Qi glaubt oder nicht an Qi glaubt (und ob man das, was ausgelöst wird, Qi nennt oder nicht Qi nennt)
- Man könnte jetzt generell für Qi Gong noch mal darauf verweisen, dass in der chinesischen Sicht Qi auch gespeichert werden kann - und das vor allem in den sogenannten Dan Tian. Diese stellen quasi "Qi-Speicherzentren" dar. - Außerdem kann Qi auch umgewandelt werden. Aber das hatten wir unter Punkt 5.2 auch schon erwähnt.
- ... Es gäbe sicherlich noch mehr zum Qi Gong an sich zu sagen, aber hier geht es ja "nur" um den Qi-Aspekt...
6.2 "Qi" im Yi Quan
- da das Yi Quan hier einen ganz interessanten Standpunkt einnimmt, der auch für die weitere Diskussion immer mal wieder eine Rolle spielen wird, wird dies kurz vor dem Punkt 6.3 "Qi und Kampfkunst allgemein" besprochen
- Wang XiangZhai, der Begründer des Yi Quan, hat in späteren Jahren praktisch gar nicht mehr von Qi gesprochen – und es als (Platzhalter-)Begriff bezeichnet, für den wir bessere Begriffe brauchen
- Platzhalterbegriff im Sinne von "wir haben diesen Begriff (früher) benutzt, weil wir keinen besseren Begriff hatten"
- und das heißt dann auch, hier ist die Idee, dass "Qi" als Begriff nicht benutzt werden muss - und Qi auch anders bezeichnet (und beschrieben) werden kann bzw. sollte
- außerdem - wenn man traditionelle Konzepte wie "Qi" denn benutzen möchte - geht das Yi Quan zusätzlich davon aus, dass das Qi sowieso an allem anderen "mit dran hängt", wie z.B. an Bewegung, Körperhaltung, Atmung, und vor allem eben auch der Vorstellungskraft (Yi) - mit anderen Worten, das Qi folgt all diesen Dingen
- ... und dann brauchen wir auch aus dem Grund nicht größer über Qi reden, weil es eh immer mit dabei ist (→ solange wir uns mit Bewegung, Körperhaltung, Atmung, Vorstellungskraft... beschäftigen folgt das Qi automatisch)
- Anm.: dies ist eigentlich unter dem Punkt 6.1 "Qi" und Qi Gong auch schon angedeutet worden
- wer es noch etwas genauer wissen will: tatsächlich hat Wang XiangZhai in seinen frühen Jahren noch sehr in den traditionellen chinesischen Konzepten gedacht - dann ist er allerding mehr und mehr dazu übergegangen, klassische Konzepte zu hinterfragen - und durch modernere Ansätze teilweise zu ersetzen. Er war da sehr modern eingestellt und hat zum Ausdruck gebracht, dass er viele chinesische Begriffe mit der Zeit eher als eine Art "Platzhalterbegriffe" angesehen hat (wie weiter oben schon geschrieben), die durch bessere Begriffe ersetzt werden sollten, wenn sie verfügbar sind
- (Weitere Kampfkunst-Aspekte, siehe im folgenden Abschnitt 6.3 "Qi" und chinesische Kampfkunst)
6.3 "Qi" und chinesische Kampfkunst (Gong Fu) allgemein
- gerade beim Thema chinesische Kampfkunst – Gong Fu – (und damit u.a. auch beim Tai Ji Quan und Yi Quan) wird der Begriff Qi ähnlich vielfältig benutzt, wie wir es schon besprochen haben, d.h. "Qi" kann bei den Kampfkünsten tatsächlich alles bisher Besprochene meinen (siehe gesamten Punkt 5)
- als Kurzzusammenfassung vom gesamten Punkt 5 (s.o.) könnte Qi hier also einfach Atem, "Energie" oder "Empfindung" bedeuten – oder eben sämtliche verschiedene Nuancen jeweils davon, die wir weiter oben besprochen hatten...
- und umso wichtiger wird es wieder, genauer zu überlegen, welche der "Definitionen" jeweils gemeint ist, wenn jemand in diesem Kontext von "Qi" spricht
- außerdem wird in den Kampfkünsten Qi auch oft mit „Kraft“ in Verbindung gebracht
- das ganze Thema "Kraft" ist jetzt allerdings ein eigenes Thema für sich – und greife ich an anderer Stelle genauer auf – aber hier nur so viel dazu:
- man könnte Qi im Sinne von "(Lebens-)Energie" usw. als eine Kraft bzw. etwas das uns (Lebens-)Kraft gibt bezeichnen, aber Qi ist kein Begriff für "Kraft" an sich – jedenfalls nicht für eine nach außen wirksame Kraft, die in der Kampfkunst Verwendung finden würde
- andere Personen werden z.B. nicht durch Qi gepusht / bewegt (verbreiteter Irrtum)
- 力 Li und 劲 (勁) Jin sind die chinesischen Begriffe für „Kraft“ (die auch im Tai Ji Quan und Yi Quan benutzt werden)
- aber auch hier kann man aus chinesischer Sichtweise heraus sagen: "ohne Qi geht es auch nicht" → denn sonst wären wir tot – ohne Qi funktioniert der Körper nicht mehr usw.
- Qi ist aber eben nicht das, was den anderen bewegt oder ihm „weh tut“ (Sorry, aber wir reden ja gerade über Kampfkunst…) – denn das sind eben 力 Li oder 劲 (勁) Jin (→ die Diskussion um Jin und Li wird beim Thema Kraft geführt) – und dann muss man über Jin/Li und Biomechanik reden – und wie man tatsächlich (körperliche) "Kraft" erzeugen kann
- also: klarer Fall von nicht mit Qi pushen (weil Qi nicht die nach außen wirkende Kraft ist) und nicht ohne Qi pushen (weil wir ohne Qi tot wären...)
- der Chen-Tai Ji Quan-Meister Chen Xiao-Wang soll mal gesagt haben: „ohne Muskeln könnten wir nicht mal morgens aus dem Bett aufstehen“ (→ denn, guter Punkt: "ganz ohne Muskeln"... das wird zwar manchmal so gesagt - sollte aber immer für "möglichst entspannt" stehen... denn die Muskeln bewegen unseren Körper... wortwörtlich ohne Muskeln würden wir nur schlaff auf dem Boden liegen können... also, "ohne Muskeln" ist nicht wörtlich zu verstehen!)
- eine traditionelle Idee in diesem Zusammenhang: es heißt u.a. in den klassischen Texten zum Tai Ji Quan, dass Qi zu Jin / Li transformiert wird (kleine Nebenbemerkung: so ähnlich wie im chinesischen Modell Qi auch in die drei Schätze Jing, Qi und Shen transformiert wird → Hm, Qi wird in Qi transformiert? Naja, es gibt lt. chinesischer Sicht verschiedene Arten von Qi – und z.B. Nahrungs-Qi füllt unser „Körper-Qi“ auf usw. → und so ist das in diesem Fall zu verstehen, dass "Qi in Qi transformiert wird")
- diese traditionelle Idee kann man sich eigentlich gut herleiten: wenn ich mein "Qi" trainiere, verstoffwechselt sich das Qi (→ "Qi" verstanden als Nahrung, Sauerstoff…) und führt mit dazu, dass sich Muskeln, Faszien, Knochen, Blut usw. „entwickeln“/verstärken → für diese ganzen Prozesse ist Qi - in der chin. Sichtweise - als wesentlicher Teil für Entwicklung von Kraft (Jin/Li) dann schon auch verständlich, wenn Qi als das angesehen wird, was "alles nährt" → und so gesehen ist diese "Energie Qi" die Grundlage auch von allem anderen, was am Ende Kraft hervorbringen kann (denn ohne entwickelte Muskeln, Faszien, usw. kann auch keine nach außen wirksame Kraft produziert werden...)
- nachdem wir jetzt geklärt haben, dass Qi kein Begriff für eine nach außen wirkende und in der Kampfkunst notwendige „Kraft“ ist usw., möchte ich hier den vorher angeschnittenen Punkt noch mal kurz aufgreifen, manches kurz wiederholen und aber auch weiterführen:
- Qi ist nicht das, was Leute bewegt usw. → Qi ist keine nach außen wirkende Kraft (das wäre Li oder Jin) → es gibt also keine Qi-Pushs oder ähnliches, wie es manchmal bezeichnet wird - man wird immer durch 劲 (勁) Jin oder 力 Li gepusht (das sagen übrigens auch die klassischen Texte des Tai Ji Quan und nicht nur ich...)
- je nachdem wie man es nun sieht, kann man beide gegensätzliche Aussagen "begründet" tätigen: einerseits mehr Qi heißt nicht (!) dass ich mehr „Kraft“ produzieren kann (wir pushen ja niemanden durch Qi) - bzw. andererseits mehr Qi heißt doch (!), dass ich mehr "Kraft" produzieren kann (wenn man Qi als das "Nährende" für Muskeln, Sehnen usw. ansieht - und vielleicht sogar auch für unsere Körperstruktur, Körperorganisation, die u.a. auch wieder von psychischen Prozessen, Wille/Absicht gesteuert wird, was ja in chinesischer Sichtweise auch von Qi gespeist wird - welches dann am Ende alles auch "Kraft" produziert)
- allerdings: wir manipulieren auch nicht das Qi von jemand anderem z.B. beim Push Hands → das wäre eher etwas, was wir durchaus wohl modern als „Bullshido“ oder auch „WooWoo“ hier an dieser Stelle mal klar bezeichnen sollten… (bzw. tatsächlich sind das eigentlich deutliche Missverständnisse, Unwissenheit und irreführende Mystifizierung – und was daran ein bisschen tragisch ist: diese Art der Deutung – dass andere durch Qi gepusht/bewegt/manipuliert würden – wird von den entsprechenden Vertretern oft als „das eigentliche und einzige innere Tai Ji Quan“ (oder welche Kunst auch immer) bezeichnet – dabei ist das eher unseriös und baut auf Fehlannahmen, Überhöhung der Begriffe wie „Qi“ und des "Inneren" und der Leichtgläubigkeit und Beeinflussbarkeit von Menschen auf)
- kleine Nebenbemerkung noch: es gibt auch immer mal die Idee, z.B. in manchem Tai Ji Quan, dass man dann „Kraft“ hat, wenn das Qi z.B. gut in den Energieleitbahnen fließen kann, es dort keine Blockaden gibt, die Körperhaltung so ist, dass „das Qi frei fließen kann“ usw. → zum einen enthält das wieder das grundsätzliche Missverständnis, dass Qi nicht „Kraft“ ist (s.o.) und zum anderen ist das auch zu mechanistisch und letztlich „äußerlich“ gedacht (als wenn man nur die richtig Position finden müsste, in der dann das Qi fließt und man auf einmal einfach so deswegen Kraft hätte)… so funktioniert „Kraft“ aber nicht – wie vorher schon angedeutet, müssen wir für "Kraft" über Ganzkörperbewegungen, Biomechanik usw. reden (dies aber an anderer Stelle ausführlicher – genaueres beim Thema „Kraft“)
- bzw. man könnte es noch sagen: eine gute Körperstruktur und Ausrichtung der Position kann schon mal - kurzfristig - "Kraft" erzeugen... das ist aber viel zu kurz gegriffen - was würde man denn dann machen, wenn man gerade blöderweise mal nicht in der optimalen Körperposition steht? Dann hat man augenblicklich keine Kraft mehr? Es wäre sehr unpraktisch, wenn das wirklich so wäre...
- insgesamt könnte man diesen Punkt eigentlich am besten als eine Art Metapher sehen: „wenn das Qi fließt bedeutet das, dass wir einigermaßen entspannt sind, gut ausgerichtet sind u.a.m.“ → d.h. das ist eigentlich eine Metapher für „die Prinzipien werden eingehalten - wir fühlen uns locker und entspannt, können uns mühelos bewegen usw.“ → und wenn wir uns locker und entspannt fühlen und die Prinzipien eingehalten werden, die Körperstruktur stimmt usw., dann ist das wiederum eine gute Grundlage auch für "Kraft"
7 Fazit
- der Begriff "Qi" hat - je nach Kontext in dem er verwendet wird - unterschiedliche Bedeutungen
- wir hatten uns angesehen, dass es viele Wörterbuch-Übersetzungen gibt, dass "Qi" zusammen mit anderen Schriftzeichen nochmal andere Bedeutungen bekommen kann - und für unsere Zwecke, dass Qi als "Energie" vor allem in "TCM"-Kontexten gilt und an vielen Stellen "Qi" viel eher als Ausdruck für "Empfindungen" (verschiedenster Art) benutzt wird (und das dann wortwörtlich als "Energie" zu verstehen wäre sogar falsch)
- für im Grund alle besprochenen Sichtweisen auf Qi gilt für unsere Übungssysteme: "Qi-Entwicklung" ist eine natürliche Folge aus dem Üben von Qi Gong, Tai Ji Quan, Yi Quan… - egal ob man Qi nun als "Empfindungen", "Vitalität", "Energie" oder was auch immer definiert
- und wie wichtig "Qi" nun aber für das Üben ist, kommt jetzt ganz darauf an, wie man die Sachen gerade (persönlich) sieht…
- man könnte einerseits sagen, Qi ist zentral (wenn auch vielleicht trotzdem nicht alles) – denn wie vorher besprochen: „ohne Qi sind wir tot“, "Qi als Körperempfindungen“ ist ja auch zentral (also einerseits dass wir überhaupt Körperempfindungen haben bzw. unseren Körper gut spüren können – und andererseits aber auch, wie oben besprochen, dass wir ein Wohlgefühl („feeling of well-being“) haben wollen – und auch, dass bestimmte Empfindungen dafür stehen, dass wir uns z.B. von Yi (Vorstellung) geführt bewegen – und das Yi die richtigen (weil anvisierten) „Empfindungen“ hervorruft (Stichwort „auf der Empfindungswelle reiten“) usw. usf.
- und Qi ist auch zentral im Sinne von „etwas, das alles andere speist“ (also auch im Sinne von Nahrung, Atmung, Stoffwechsel, Blut, das Gewebe und die Organe werden versorgt…) - also dass wir leben und gesund sind und uns wohlfühlen…
- … aus diesen ganzen Sichtweisen heraus ist Qi zentral (!)
- man könnte sich aber auch auf den Standpunkt stellen, „das Qi ist relativ unwichtig und überhaupt nicht zentral (mit der Nebenaussage: andere Sachen sind viel wichtiger als Qi!)“ → Begründung: das Qi hängt an allem anderen mit dran – an Bewegung, Körperhaltung, Atmung, Vorstellungskraft (Yi)…
- … und z.B. das Yi soll Empfindungen im Körper hervorrufen, aber ob man diese Empfindungen nun Qi nennt oder als etwas anderes bezeichnet (oder auch gar nicht benennt), ist eigentlich egal – es ändert ja auch nichts an den Empfindungen, je nachdem wie man sie benennt oder eben nicht benennt
- … und so gesehen ist Qi „relativ egal“… von diesem Blickwinkel aus könnte man also wirklich sagen: „das Qi ist überhaupt nicht zentral“ und wir brauchen es eigentlich nicht weiter beachten, da es sowieso mit dabei ist (und eben z.B. dem Yi, der Bewegung, der Körperhaltung usw. „automatisch“ folgt)
- man kann es also so oder so ausdrücken – Qi ist zentral – und Qi ist überhaupt nicht zentral – und beides stimmt für einen gewissen Bereich
- und hier schließt sich jetzt der Kreis, denn ich hatte es schon ganz am Anfang vorgeschlagen, hier aber zum Schluss noch mal: vielleicht sollte man Qi tatsächlich lieber unübersetzt lassen, eben gerade weil es so viele verschiedene Bedeutungsebenen für Qi gibt (und eine einzige Übersetzung gar nicht alles davon trifft und abdeckt)
FAQs – Häufige Fragen und Antworten
Frage 1: Was versteht man nun unter Qi?
Antwort: Zusammenfassend würde ich hier noch mal sagen: das hängt ganz davon ab, von welcher Seite (Sichtweise) aus man darauf guckt bzw. fragt. Man sollte auch mal gucken, für was Wort Qi im Chinesischen tatsächlich benutzt wird, was es alles bedeuten kann (Wörterbuch) - und in bestimmten Zusammenhängen (chinesische Medizin, Qi Gong...) wird es oft als "(Lebens-)Energie" aufgefasst. Im Tai Ji Quan usw. passt oft gut, Qi als eine Art Metapher für "Empfindungen" zu sehen. Ganz allgemein kann man Qi auch als eine Metapher auffassen für "alles hat irgendwie Energie" - wo ja nicht mal die moderne Physik widersprechen würde (auch wenn diese das dann sicher nicht Qi nennen würde!). - Aufgrund der Vieldeutigkeit von Qi ist es vermutlich sinnvoll, den Begriff gar nicht zu übersetzen um ihn nicht zu sehr auf eine einzige Definition festzunageln, die dann zwar sehr klar und eindeutig ist, aber am Ende "falsch", weil zu vereinfachend und unvollständig ist. Ich kann verstehen, dass man gerne Eindeutigkeit hätte. Das ist aber nicht immer möglich ohne "Informationsverlust".
Frage 2: Wie kann ich mein Qi spüren?
Antwort: An dieser Stelle wird gerne mit einfach Übungen experimentiert, wie die Hände zueinander zeigen zu lassen, als wenn man eine Art Ball in den Händen halten würde. Nach einer Zeit beginnt man i.d.R. den Ball - oder "etwas" - zu spüren. Vielleicht auch Wärme, Kribbeln, Schwere oder auch das Gegenteil davon: Leichtigkeit, ... usw. Üblicherweise wird dann gesagt: "das ist Qi". Aber um mal eine Skeptiker-Sicht einzunehmen: niemand weiß eigentlich wirklich, ob das Qi ist - oder nicht etwas anderes. Auf der anderen Seite weiß aber auch niemand, ob das nicht Qi ist. - In jedem Fall lassen sich Kribbeln, Wärme usw. z.B. auch folgendermaßen erklären: man entspannt sich vielleicht, was den Blutfluss erhöhen kann und durch die bessere Durchblutung wird einem dann wärmer, es kribbelt vielleicht kurzfristig... außerdem lenkt man ja auch die Aufmerksamkeit auf die Hände, stellt sich den Ball zwischen den Händen vor - und alleine schon die Aufmerksamkeit darauf weckt eine gewisse "Erwartungshaltung" und macht auch empfänglicher für Empfindungen in dem Bereich (oder andersherum gesagt: im Alltag "fühlt" man wahrscheinlich bestimmte Körperbereiche so lange nicht, bis man mal wieder bewusst dorthin spürt (oder bis Missempfindungen die Aufmerksamkeit automatisch dorthin ziehen!), d.h. die Wahrnehmung kann ein bisschen an- und abgeschaltet werden, je nachdem, ob man seine Aufmerksamkeit in bestimmte Körperregionen lenkt oder nicht.
Auf der anderen Seite macht es Sinn, das ganz entspannt zu sehen: Wie weiter oben festgestellt, muss man nicht an Qi glauben. Es ist auch nicht so wichtig, ob man etwas Qi nennt oder nicht Qi nennt. Und wenn man den Begriff Qi aber für sich selber wichtig findet, dann kann man gerne entsprechende Körperempfindungen, "Wohlgefühl" usw. als Qi-Empfindung einordnen.
Wichtig finde ich aber jedoch auch noch, dass es keine absolute Erwartung geben sollte, sofort, immer und jedes Mal - und in besonders großem Umfang - alles mögliche zu empfinden. Wie weiter oben im Text beschrieben, sollte "Qi" auch kein "sensation seeking" sein. Wenn man etwas spürt darf man sich gerne freuen. Wenn man gerade nichts spürt, ist das auch völlig in Ordnung.
Frage 3: Gibt es Qi überhaupt?
Antwort: Es wäre jetzt auch wieder schön, wenn man einfach eindeutig mit Ja oder Nein antworten könnte. Leider geht das nicht - denn es kommt halt ganz darauf an, wen man fragt - und eben, wie wir vorher besprochen haben, wie man Qi auffasst, als was man es gerade im Moment definiert, wenn man diese Frage stellt. Naturwissenschaftlich könnte man wahrscheinlich sagen "Nein" - oder auf jeden Fall "bisher nicht nachgewiesen und auch nicht nachweisbar". - Wenn ich ehrlich bin, würde ich eigentlich empfehlen, diese Frage so gar nicht weiter zu verfolgen... weil sie eben gar nicht wirklich beantwortbar ist - und auch auf absehbare Zeit wohl prinzipiell nicht beantwortbar werden wird. Als Alternative zu der Frage ob es Qi überhaupt gibt, würde ich viel eher empfehlen, zu gucken (s.o.) welche Definition oder Definitionen von Qi man anwenden möchte, wenn man den Begriff Qi überhaupt benutzen möchte. Und dann ist es entweder eine pragmatische Definition wie z.B. "Qi als Empfindung" - die dann eh etwas Subjektives ist, was einem keiner nehmen kann (man kann höchstens kritisieren ob dafür die Bezeichnung "Qi" überhaupt notwendig wäre). Und in den meisten anderen Fällen - wenn man andere Qi-Definition benutzt - dann muss man halt damit leben, dass es hier keine endgültige Klärung geben wird und man diesen Begriff dann sozusagen "auf eigene Gefahr" benutzt.
Frage 4: Wie kann ich mein Qi erhöhen?
Antwort: Aus traditionell-chinesischer Sicht würden alle Aspekte "das Qi erhöhen", die man einerseits als "Lebensführung" zusammenfassen kann (u.a Ernährung, Schlaf, Balance von Aktivität und Ruhe usw.) sowie natürlich andererseits "das Beüben des Qi" = Qi Gong (und damit auch Tai Ji Quan und Yi Quan). - Allerdings sollte man hier nicht nur auf den Aspekt "das Qi erhöhen" achten, sondern es geht auch darum, Qi-Blockaden, Qi-Ungleichgewichte usw. zu lösen und auszugleichen. und außerdem auch darum, den "übermäßigen Verbrauch" von Qi zu verringern. Beispielsweise längeranhaltender, dysfunktionaler Stress und insgesamt Überlastung ohne Erholungsphasen brauchen nach und nach (Qi-)Reserven auf. Alle diese Aspekte sollten gemeinsam betrachtet werden.
Weiterlesen:
Die drei Schätze (Jing, Qi, Shen)