Die 10 Prinzipien von Yang Cheng-Fu
Teil des Yang-/Yeung-Familien Tai Ji Quan (Tai Chi Chuan) sind die 10 Prinzipien von Yang Cheng-Fu. Aufgezeichnet wurden sie von Chen Wei-Ming, einem Schüler von Yang Cheng-Fu. Obwohl sie aus dem Yang-Stil stammen, sind sie im Grunde allgemeingültig, und gelten mehr oder weniger genau so auch für Chen-Stil Tai Ji Quan - und sogar für das Yi Quan. Allerdings kommt es auch darauf an, wie genau die Prinzipien jeweils interpretiert werden. Und hier gibt es durchaus Unterschiede.
Kurze Erklärung zu den folgenden Tabellen bei den einzelnen Prinzipien:
- in der ersten Zeile sind jeweils die chinesischen Schriftzeichen (HanZi) angeführt
- in der zweiten Zeile die offizielle Umschrift in PinYin
- in der dritten Zeile die kantonesische Umschrift
- und in der vierten Zeile schließlich die deutsche Übersetzung/Bedeutung
- die Kommentare sind von mir ("DR" - Daniel Roga) hinzugefügt worden und und erheben keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit
1. Xu Ling Ding Jin – Leer und lebendig den höchsten Punkt des Kopfes mit Stärke/Präsenz füllen
虚(虛) | 灵(靈) | 顶(頂) | 劲(勁) |
Xū |
Líng |
Dǐng |
Jìn / Jìng |
Heoi |
Ling |
Ding |
Ging, Geng |
Leere, Nichts |
schnell, flink, wachsam, aufgeweckt; schlau; effektiv, wirkungsvoll; Geist, Intelligenz |
höchster Punkt des Kopfes, Scheitelpunkt |
Stärke, Energie; Geist |
Kommentar DR: "Leer und lebendig den höchsten Punkt des Kopfes mit Stärke/Präsenz füllen" (Xu Ling Ding Jin) bezieht sich einerseits auf aufgerichtete Körperhaltung (wobei der Nacken zwar lang aber auch entspannt bleiben soll) - zum anderen bezieht es sich aber auch darauf, dass Wachheit und Präsenz da sein sollen ("Drachen-Gefühl" ist das Bild in der Yang-Familie dafür).
2. Han Xiong Ba Bei – Die Brust zurückhalten und den Rücken dehnen/heben
含 | 胸 | 拔 | 背 |
Hán |
Xiōng |
Bá |
Bèi |
Ham |
Hung |
Bat |
Bui |
halten, einhalten |
Brustkorb, Brust; Geist, Herz |
hochziehen, heben |
Rückseite des Körpers, Rücken |
Kommentar DR: "Die Brust zurückhalten und den Rücken dehnen/heben" (Han Xiong Ba Bei) - dies ist einerseits eine Körperhaltungsidee - vorne "leer" werden und die Kraft in den Rücken leiten. Andererseits ist hiermit aber auch eine Bewegungsidee verbunden: man könnte vereinfach sagen: Körper wechseln "einrollen" / zum Boden sinken, und wieder "ausrollen" / einen Impuls für Bewegung kreieren.
3. Song Yao – Taille / Kreuz / unteren Rücken / Lendenwirbelsäule entspannen
鬆 | 腰 |
Sōng |
Yāo |
Sung |
Jiu |
lösen, entspannen |
Taille, Kreuz, unterer Rücken |
Kommentar DR: "Taille / Kreuz / unteren Rücken / Lendenwirbelsäule entspannen" (Song Yao) - damit ist eine Entspannung, bzw. mehr noch eine Art von "Sinken" im Bereich der Taille und des unteren Rückens gemeint. Weitergehend ermöglicht eine entspannte Taille (Bereich zwischen Brustkorb und Becken) auch Bewegungen, Beweglichkeit - und Gegenbewebungen in diesem Bereich.
4. Fen Xu Shi – Leere und Fülle trennen
分 | 虚(虛) | 實 |
Fēn |
Xū |
Shí |
Fan |
Heoi |
Sat |
trennen, teilen; verteilen; unterscheiden |
Leere, Nichts |
real, echt, fest, „Fülle“ |
Kommentar DR: "Leere und Fülle trennen" (Fen Xu Shi) hat eigentlich mit Yin und Yang zu tun - bzw. Leere und Fülle sind Aspekte von Yin und Yang. Yin und Yang müssen immer klar unterschieden werden, einen Gegensatz bilden. "Doppelte Gewichtung" ist eigentlich der Fehler, wenn Leere und Fülle nicht richtig getrennt werden.
5. Chen Jian Zhui Zhou – Die Schultern senken und die Ellbogen nach unten gewichten
沉 | 肩 | 坠(墜) | 肘 |
Chén |
Jiān |
Zhuì |
Zhǒu |
Cam |
Gin |
Zeoi, Jeoi, Zui, Jui |
Zau, Jau |
sinken, absenken, unten halten, tief |
Schulter |
fallen (lassen), nach unten gewichten, sinken (lassen) |
Ellbogen |
Kommentar DR: "Die Schultern senken und die Ellbogen nach unten gewichten" (Chen Jian Zhui Zhou) bedeutet dass die Schultern immer nach unten "gesetzt" sein sollen, bzw. mehr noch, die Schulter gut im Rumpf gesetzt sein soll (als Verbindungsglied von Arm und Rumpf). Die Ellbogen haben immer eine "Bedeutung nach unten" - selbst wenn sie mal oben sein sollten, sollten sie nicht "nach oben fliegen".
6. Yong Yi Bu Yong Li – Die Vorstellung benutzen und nicht Kraft benutzen
用 | 意 | 不 | 用 | 力 |
Yòng |
Yì |
Bù |
Yòng |
Lì |
Jung |
Ji |
Bat |
Jung |
Lik |
benutzen, |
Vorstellung |
nicht, nein |
benutzen, |
Kraft |
Kommentar: "Die Vorstellung benutzen und nicht die Kraft benutzen" (Yong Yi Bu Yong Li) heißt, dass alles von der Vorstellung aus geführt sein soll. Ob man wirklich gar keine Kraft benutzen sollte, ist ein Thema für sich - hier ist das wahrscheinlich aber auch so gemeint, dass man wenn dann eher "Jin" haben möchte - und nicht Li ("grobe Kraft"), da im Yang-Stil hier Jin und Li unterschieden werden. (was ja nicht immer so gemacht wird)
7. Shang Xia Xiang Sui – Oben und unten folgen sich gegenseitig
上 | 下 | 相 | 随(隨) |
Shàng |
Xià |
Xiāng |
Suí |
Soeng |
Haa |
Soeng |
Ceoi |
oben |
unten |
gegenseitig |
folgen, mitgehen, sich anpassen |
Kommentar Daniel Roga: "Oben und unten folgen sich gegenseitig" (Shang Xia Xiang Sui) bezieht sich v.a. darauf, dass Oberkörper und Unterkörper aufeinander abgestimmt in Bewegung sind.
8. Nei Wai Xiang He – Innen und außen verbinden sich gegenseitig
內 | 外 | 相 | 合 |
Nèi |
Wài |
Xiāng |
Hé |
Noi, Naap |
Ngoi,Oi |
Soeng |
Hap, Gap |
innen
|
außen
|
gegenseitig |
schließen, kombinieren, verbinden, zusammen, gleichgestellt sein |
Xiang He = sich nach etwas richten, kompatibel sein, zusammenpassen |
Kommentar DR: "Innen und außen verbinden sich gegenseitig" (Nei Wai Xiang He) ist ein sehr guter Punkt, da oft sehr viel von "innen" und wenig von "außen" gesprochen wird. Tatsächlich sollen innen und außen aber gemeinsam aktiv sein und sich "verbinden". Im Grunde genommen ist das hier eine ähnliche Grundidee, wie die Sechs Harmonien (Liu He) es beschreiben.
9. Xiang Lian Bu Duan – Gegenseitig verbinden und nicht abbrechen
(gemeint ist vor allem, dass die Bewegungen im Inneren, geführt durch die Vorstellungskraft Yi, nicht unterbrechen)
相 | 连(連) | 不 | 断(斷) |
Xiāng |
Lián |
Bù |
Duàn |
Soeng |
Lin |
Bat |
Dyun |
gegenseitig |
verbinden; kontinuierlich |
nicht |
abbrechen |
Xiang Lian = miteinander verbunden sein, sich kombinieren/vereinigen |
Bu Duan = unaufhörlich, ununterbrochen; kontinuierlich; konstant |
Kommentar DR: "Gegenseitig verbinden und nicht abbrechen" (Xiang Lian Bu Duan) - ich hatte ja oben schon einen kurzen Kommentar angefügt. Der erste Teil des Ausdrucks steht auch dafür, dass alles miteinander verbunden ist (körperlich, geistig usw.) und der zweite Teil, dass alles kontinuierlich ist. Dieser letzte Teil wird aber häufig so missverstanden, als ob die Bewegungen immer nur fließend sein dürfen - das stimmt aber nicht. Sie können äußerlich "nicht-fließend" sein, müssen aber immer inneren auch verbunden bleiben - und die Führung durch die Vorstellung (Yi) darf eben nicht abbrechen.
10. Dong Zhong Qiu Jing – In der Bewegung Stille suchen (die Ruhe in der Aktion suchen)
动(動) | 中 | 求 | 靜 |
Dòng |
Zhōng |
Qiú |
Jìng |
Dung |
Zung |
Kau |
Zing |
Bewegen, Verändern; benutzen |
Zentrum, Mitte; in, inmitten |
suchen; anstreben; erbitten |
Stille, Ruhe |
Kommentar DR: "In der Bewegung Stille suchen (die Ruhe in der Aktion suchen)" (Dong Zhong Qiu Jing) bedeutet eigentlich eigentlich etwas ähnliches wie der Qi Gong-Schlüsselpunkt 7 - Bewegung und Ruhe gehören zusammen: wir brauchen immer beides, Yin und Yang. In der Bewegung muss auch Ruhe sein (der Gegenpol), so wie in der Ruhe auch Bewegung sein muss (wiederum der Gegenpol).
FAQs - Häufige Fragen und Antworten
Frage 1: Gelten die 10 Prinzipien von Yang Cheng-Fu nur für Yang Tai Ji Quan?
Antwort: Nein, sie gelten alle auch für andere Tai Ji Quan-Stile bzw. sind dort auch schon genauso oder ähnlich formuliert worden, sind also eigentlich als stilübergreifend anzusehen. (Ausnahme: der eigene Lehrer behauptet das Gegenteil. ;-) )
Frage 2: Gibt es nur diese 10 Prinzipien im Yang-Tai Ji Quan?
Antwort: Nein, die 10 Prinzipien sollen eine Liste besonders wichtiger oder zentraler Prinzipien darstellen. Es gibt noch weit mehr Prinzipien.
Frage 3: Die Prinzipien sind ja überall "gleich" - wieso sieht Tai Ji Quan dann nicht immer gleich aus?
Antwort: Das liegt an vielen Gründen. In Bezug auf die Prinzipien muss man hier in jedem Fall sagen, dass die Prinzipien zwar immer "gleich" sind oder sein sollen - aber eine entscheidende Sache, die nicht immer gleich ist, ist, dass die Interpretation der Prinzipien nicht immer gleich ist. Beispielsweise ist vielen Yang-Tai Ji Quan-Richtungen das 2. Prinzip von Yang Cheng-Fu "Die Brust zurückhalten und den Rücken heben/dehnen" vor allem eine Art "Körperhaltungsidee". Bei Yeung Ma-Lee (und auch schon bei Bob Boyd) ist es mehr: nämlich auch eine Bewegungsidee, d.h. es ist wirklich eine Bewegung, die wiederum alle anderen Bewegungen beeinflusst.
Insofern ist tatsächlich nicht jedes Tai Ji Quan einfach in allem genau gleich "und es sieht halt einfach nur ein bisschen anders aus". Nein, es ist oft tatsächlich auch sehr anders, was man praktisch macht und übt.
Weiterlesen:
Die 13 Prinzipien von Yang Shou-Chung